Tessiner Priestertarock
Einleitung
Dieses von den Regeln her einfache Tarockspiel speziell für 5 Spieler findet sich als Spiel Nr. 5.9 auf Seite S4–S5 im Zusatzheft (Supplement) (2009) zu Michael Dummett und John McLeod, A History of Games Played with the Tarot Pack (Edwin Mellen, Lewiston, Queenstown, Lampeter, 2004). Die Autoren haben es von Don Claudio Laim gelernt. Laut Laim wurde es früher im ganzen Tessin von Priestern gespielt (daher der für die deutschen Regeln gewählte Name), zum Zeitpunkt dieser Information (2004) kannten es allerdings kaum noch 20 von ihnen.
Karten
Es wird ein piemonteser Tarockblatt (Tarocco piemontese) mit 78 Karten benötigt (ein Tarock mit französischen Farben, Grosstarock oder Jeu de Tarot à 78 cartes, würde natürlich auch gehen). Es gibt 4 Farben: Schwerter, Stäbe, Kelche und Münzen. Der Rang der Karten ist in jeder Farbe von oben: König, Dame, Cavall (Reiter), Bube, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, Ass. Zusätzlich gibt es die Trumpfkarten, Tarock, die von 21 bis 1 numeriert sind, und den Narren (Matto) mit einer 0.
Der Eigenwert der Karten ist: Könige je 5, Damen 4, Reiter 3, Buben 2, Tarock 21 und 1 je 5. Der Narr hat normalerweise ebenfalls den Wert 5, es ist allerdings möglich, dass er den Wert 0 hat, wenn er zu spät gespielt wird. Der Wert der anderen Karten ist 0. Die Karten werden mit ihrem Eigenwert gezählt und nicht in Gruppen zusammengefasst, wie in anderen Tarockspielen. Daher gibt es 71 oder, wenn der Narr seinen Wert verliert, nur 66 Kartenpunkte.
Spielziel
Ein Spieler spielt entweder allein oder mit Partner und versucht, mehr Kartenpunkte als die Gegenpartei zu gewinnen.
Spielweise
Es gibt 5 aktive Spieler. Das Spiel geht links herum, der Geber mischt die Karten, lässt den Spieler zu seiner Rechten abheben und verteilt dann in 3er-Päckchen verdeckt an jeden 15 Karten. Die am Ende übrig bleibenden 3 Karten legt er offen vor sich ab. Sie zählen am Ende für seine Partei. Wenn das Spiel zu Ende ist, gibt der Spieler links vom Geber zum nächsten.
Rufen
Die Spieler sehen sich ihre Karten an. Angefangen mit dem Spieler links vom Geber können die Spieler ein Rufspiel (Chiamo) spielen oder passen. Sobald jemand Chiamo sagt, ist die Bietphase beendet. Wenn niemand spielen will, werden die Karten zusammengeworfen und der nächste gibt.
Der Chiamospieler hat folgende Möglichkeiten:
-
Er ruft eine Karte, die er nicht in der Hand hält. Der entsprechende Spieler ist sein Partner, darf dies aber nicht sagen, sondern es stellt sich durch das Spiel der gerufenen Karte heraus. Wenn die gerufene Karte allerdings eine der drei offenen ist, dann weiss jeder, dass der Geber der Partner ist.
-
Er ruft eine selbst gehaltene Karte und spielt somit allein, was sich allerdings erst während des Spiels herausstellt.
-
Er spielt allein und lässt sich eine Karte seiner Wahl geben. Der Spieler, der diese Karte hält, muss sie geben, und erhält dafür verdeckt eine beliebige Karte des Rufers.
Hinsichtlich der Karte, die der Chiamospieler ruft bzw. sich geben lässt, gibt es keine Einschränkung. Auch die Karte die er im Fall des Alleinspiels zurückgibt, ist beliebig.
Es ist unklar, ob sich ein Alleinspieler eine der 3 offenen Karten geben lassen kann. Mutmasslich nicht, sondern nur Handkarten (aber es könnte interessanter sein, wenn er das darf). Ausserdem ist unklar ob der Geber, wenn er allein spielen will, eine der 3 offenen Karten im Austausch für die gerufene geben kann und die erhaltene Karte dann zu den offenen tut. Vermutlich nicht, er muss eine seiner Handkarten tauschen.
Spiel der Karten
Der Spieler links vom Geber spielt zum ersten Stich, jeder legt der Reihe nach eine dazu. Dabei gelten folgende Regeln:
- Farbe muss bedient werden, d.h. wer eine oder mehrere Karten der angespielten Farbe hat, muss eine davon spielen;
- ebenso muss auf einen Tarock Tarock gespielt werden;
- wer nicht bedienen kann, muss Tarock spielen, wenn er kann;
- wer weder bedienen noch Tarock spielen kann, spielt eine beliebige Karte.
Wer den höchsten Tarock oder, wenn keiner gespielt wurde, die höchste Karte der angespielten Karte gespielt hat, gewinnt die Karten des Stiches und spielt zum nächsten.
Der Narr
Für den Narren gelten besondere Regeln, die sich in dieser Form in keiner anderen Tarockvariante finden:
- Er geht dem Spieler, der ihn hält, nie verloren.
- Der Narr kann nie einen Stich gewinnen.
- Wenn ein Tarock angespielt oder gefordert wurde, kann stattdessen der Narr gespielt werden.
- Wenn eine Farbkarte angespielt wurde, darf der Narr nur dann gespielt werden, wenn sein Halter keine Karte dieser Farbe hält.
- Wenn der Narr als erste Karte zum Stich gespielt wurde, müssen die anderen Tarock spielen, wenn sie können.
- Der Narr muss bis zum 10. Stich gespielt werden um seinen 5er-Wert zu behalten. Wird er im 11. Stich oder später gespielt, zählt er 0.
Der Narrenhalter spielt die Karte, indem er sie vorzeigt, «calo il matto» (ich lege den Narren ab) sagt, und sie zu den Stichen der eigenen Partei legt.
Die Regeln für das Spiel des Narren machen diesen zu einer Art stichunfähigen Trumpf. Zwei Dinge sind unklar:
Was passiert im vermutlich extrem seltenen Fall, dass der Narr als erste Karte zum Stich gespielt wird, und niemand hält Trumpf? Vorschlag: Die Farbe, die der Spieler links vom Narren spielt, muss bedient werden und die höchste Karte dieser Farbe gewinnt den Stich, der Narr gehört seinem Eigentümer und zählt 5 oder 0, je nach Stich.
Wenn eine Farbe zum Stich angespielt wird, die der Halter des Narren nicht hält, und wenn er sonst keinen Trumpf hält, muss er dann den Narren spielen, weil er nicht bedienen kann und der Narr nominell als Trumpf gilt? Vorschlag: Ja, den Narren muss spielen, wer nicht bedienen kann und sonst keinen Trumpf hat.
Abrechnung
Nach dem letzten Stich stehen die Parteien fest und jede zählt die von ihren Mitgliedern gewonnenen Kartenpunkte zusammen. Hat der Narr seinen 5er-Wert behalten, dann gibt es 71 Punkte und es gewinnt die Seite, die die Mehrheit hat, also 36. Hat der Narr seinen Wert verloren, dann gewinnt, wer 34 oder mehr der 66 Kartenpunkte hat; bei Gleichstand 33:33 gewinnt die Partei, die nicht den Narren gehalten hat.
Hat der Rufer einen Partner, dann gewinnt oder verliert der Rufer 2, der Partner 1, und die Gegenspieler verlieren bzw. gewinnen 1 Wertungspunkt (WP). Bei einem Alleinspiel zählt der Alleinspieler 4, die Gegenspieler je 1 WP gewonnen oder verloren. Die WP werden bilanziert und aufsummiert angeschrieben. Der Spielstand 0 wird mit einem Gleichheitszeichen, «=», markiert.
Ein Spieler der falsch bedient oder keinen Trumpf spielt, wenn er müsste, schreibt −4 WP, die anderen +1.
Kulturgeschichte
Die Rolle des Narren als stichunfähigem Trumpf ist insofern einzigartig unter den Tarockspielen, als die Karte ansonsten sehr mächtig ist. Eine Art Joker im Stichspiel in den älteren Regeln und höchster Trumpf in den österreichischen Varianten. Trotzdem könnte es sich um die ursprüngliche Regel handeln. Jedenfalls klagt der Dichter Lollio aus Ferrara im Jahr 1550 in einer Streitschrift gegen das Tarock über das grosse Unglück, dass dem Spieler widerfährt, wenn ihm das «copire il Matto» nicht gelingt, was häufig der Fall sei. In den anderen Tarockvarianten ist dergleichen garnicht bzw. nur sehr schwer möglich. (Vgl. Erläuterung im Supplement und History, Kap. 10, insbes. S. 255f.)