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Das Tarock von Chambéry

 
Wappen von Chambéry
 
Tarot français des fleurs

Im Jahr 1902 hat der Spielkartenhersteller Fossorier, Amar & Cie (Paris) ein charmantes Jugenstiltarock herausgegeben, mit Blumenbildern auf den Trümpfen, gestaltet von E. Helle: Das Tarot français des fleurs. Die Spielkarten werden immer mal wieder aufgelegt, zuletzt unter der Marke Dussere.

Beigelegt ist den Karten das Regelwerk vom Club des Taroteurs im Grand Café Emile Coudurier in Chambéry, dem Hauptort der französischen Savoyen. Wir geben hier eine deutsche Fassung der Regeln für diejenigen, die ein Blumentarock besitzen. Das Spiel lässt sich genauso mit dem normalen französischfarbigen Tarockblatt mit 78 Karten spielen (und wurde es vermutlich damals normalerweise). Die Regeln sind vergleichsweise einfach und so gesehen eine gute Einführung ins klassische Tarockspiel.

Da Savoyen (wie Nizza) bis 1860 zum Königreich Sardinien gehörte, gleichen die Regeln denen aus dem Piemont und Nizza mehr, als denen des modernen französischen Tarock. Die Regeln für der Spiel zu viert und zu fünft sind vom gleichen Typ wie das Tübinger Tarock («Tarock-Quadrille»); das Spiel zu dritt ist quasi Grosstarock ohne Meldungen und Ultimo.

Spieler, Spielziel

Fünf, vier oder drei spielen ein typisches Tarockspiel. Im Falle von fünf oder vier Spielern in zwei Parteien, bei drei jeder für sich. Ziel ist, überdurchschnittlich viele Kartenpunkte zu gewinnen. Zuerst wird die Variante mit fünf Spielern beschrieben, die im Grand Café Coudurier offenbar bevorzugt wurde.

Spielkarten

Ein Tarockblatt mit 78 Karten in französischen Farben wird benötigt. Es ist möglich mit einem auf 62 Karten gekürztem Blatt zu spielen (tarot simplifié), das wird in einem eigenen Abschnitt erläutert. Zusätzlich ist es nützlich, wenn die Spieler Marken im Wert von 50 Punkten haben, wenn man nicht nach jedem Spiel schriftlich bilanzieren will.

Die Farbkarten haben jeweils die üblichen Bilder und französische Eckindizes, ihr Rang von oben ist König (Index R, frz. roi), Dame (D, dame), Cavall (C, chevalier) und Bube (V, valet). Danach folgen die nummerierten Karten 1, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2. Das Ass (1) folgt immer unmittelbar auf den Buben.

Die Trumpfkarten (Tarock, tarots) rangieren von oben 21, 20, …, 2, 1 (Fettdruck bedeutet Tarock). Der Pagat (1) heisst im Dialekt Baga.

Eine besondere Rolle spielt der Fou (Narr, in dt. Tarockspielen Ski, Sküs oder Stiess).

Der Eigenwert der Karten ist:

Fou, 21 und 1 je 4

Könige je 4

Damen je 3

Cavalls je 2

Buben je 1

Andere Karten haben keinen Eigenwert. Des weiteren zählen jeder Stich und die Ablage 1 Punkt.

Geben

Das Spiel geht rechts herum, im Gegenuhrzeigersinn.

Der erste Geber wird beliebig bestimmt, nach jedem Spiel gibt der nächste in der Reihe zum neuen Spiel.

Wenn in einer Runde sechs Spieler sitzen, dann setzt der links vom Geber sitzende Spieler jeweils aus.

Der Geber mischt, lässt links abheben und verteilt jedem der Reihe nach 3 mal 5 gleich 15 Karten. Er selber behält am Ende 8 Karten.

Drücken

Die Spieler sehen sich ihre eigenen Karten an. Der Geber drückt, d.h. er reduziert seine Hand von 18 auf 15 Karten, indem er 3 Karten verdeckt ablegt. Die abgelegten Karten zählen für seine Partei.

In keinem Fall dürfen Könige, 21 und Fou abgelegt werden. Andere Tarocks als die 21 dürfen nur gedrückt werden, wenn der Geber danach keinen Tarock mehr auf der Hand hält, der Fou gilt dabei nicht als Tarock. Wenn der Geber auf diese Weise die 1 drückt, was erlaubt ist, sagt er das an: «Baga à l’écart» (Pagat im Skat).

Die Regeln geben nicht an was im seltenen Fall passiert, dass der Geber sehr viele Tarocks hält und er welche drücken muss. Eine Regel, die man für diesen Fall häufig findet, wäre, dass er Tarocks ohne Eigenwert drückt (also nicht 1) und ansagt, wieviele es sind.

Entscheidung über die Spielart

Es gibt zwei Spielarten: Solo, d.h. einer gegen vier, oder (König-)Rufen, der Geber spielt mit einem gerufenen Partner gegen die drei anderen Spieler.

Solo

Der Reihe nach, beginnend mit dem Spieler zur rechten des Gebers, sagen die Spieler nacheinander an, ob sie Solo spielen wollen oder sie passen. Jeder kann nur einmal sprechen.

Ein Solospieler kann sich von den anderen Spielern bis zu zwei Karten geben lassen. Wer Solo spielen will, nennt die Zahl der Karten die er haben will:

  • «Je marche seul à deux cartes» (Ich geh allein mit zwei Karten);
  • «Je marche seul à une carte» (Ich geh allein mit einer Karte);
  • «Je marche à point» (Ich geh wie gegeben).

Geht ein Spieler allein und will einer nach ihm das ebenfalls tun, muss der zweite weniger Karten fordern.

Steht der Solospieler fest und hat das Recht, sich Karten geben zu lassen, dann nennt er die Karten, die er haben will. Einzige Einschränkung: Den Fou darf er nicht fordern. Spieler, die die geforderten Karten halten, müssen sie dem Solisten geben. Der Solist gibt dafür eine Karte seiner Wahl zurück, vermutlich verdeckt.

Das Regelwerk gibt nicht an was passiert wenn die gerufene Karte vom Geber gedrückt worden ist. Entweder ist das Pech, der Solist bekommt die Karte nicht und muss eine andere rufen. Alternativ spielt man, dass der Geber die gedrückte Karte hergeben muss. Wenn der Solist nur Könige und 21 fordert, kann dieser Fall nicht eintreten.

Rufen

Wenn kein Spieler vor ihm ein Solo spielt, muss sich der Geber entscheiden, ob er allein gehen will. Falls nicht, ruft er einen König. Hat er alle vier, eine Dame (andere Fälle sind nicht angegeben). Wer die gerufene Karte hält, meldet sich sofort. Geber und gerufener Spieler bilden eine Partei gegen die drei anderen Spieler.

Spiel der Karten

Der Spieler rechts vom Geber spielt die erste Karte offen. Die Spieler legen der Reihe nach offen eine dazu.

Eine angespielte Farbe oder Tarock muss bedient werden. Wer nicht bedienen kann, muss Tarock spielen (trumpfen). Es gibt keine Pflicht höher zu spielen (stechen). Wer weder bedienen noch trumpfen kann, spielt eine beliebige Karte.

Den Stich gewinnt, wer den höchsten Tarock gespielt hat, oder die höchste Karte der angespielten Farbe, wenn kein Tarock gespielt wurde. Wer den Stich gewinnt, spielt zum nächsten an.

Fou. Anstatt zu bedienen oder zu trumpfen, kann der Besitzer des Fou diesen einmalig vorzeigen und ihn danach zu den Stichen der eigenen Partei legen. Der Stich besteht dann aus den anderen vier Karten. Selber einen Stich machen kann der Fou nicht.

Das Regelwerk gibt nicht an, ob der Fou als erste Karte eines Stiches gezeigt werden darf. Eine typische Regel wäre: Das ist erlaubt und in diesem Fall legt die zweite gespielte Karte fest, welche Farbe bedient oder getrumpft werden muss.

Wertung

Zusätzlich zum Gesamteigenwert 52 der Karten gibt es 15 Stiche und die Ablage, die 1 Punkt extra zählt. Daher gibt es insgesamt 68 Punkte für die Karten. Beim Gleichstand 34 zu 34 ist das Spiel unentschieden. Ansonsten zahlt die Partei, die weniger als 34 hat, die Differenz an die Sieger. Dieser Betrag wird ausserdem für jeden der folgenden Fälle verdoppelt:

  • die Verlierer haben weniger als die Hälfte der zum Gleichstand nötigen Punkte (weniger als 17);
  • der Solist geht mit höchstens einer Karte;
  • der Solist geht wie gegeben.

Der Maximalfall wäre also ein achtfaches Spiel: Solo wie gegeben (beinhaltet mit höchstens einer Karte), Verlierer weniger als 17.

Hat das Dreierteam verloren, zahlt jeder Verlierer die mit dem Spielfaktor multiplizierte Differenz, die beiden Sieger teilen sich den Betrag. Wenn das nicht aufgeht bekommt der Geber den überzähligen Punkt. Hat das Geberteam verloren, müssen beide die drei Gegenspieler bezahlen, jeder also die eineinhalbfache Differenz multipliziert mit dem Spielfaktor, der Geber wieder ggf. den überzähligen Punkt.

In einem Solo zahlt oder erhält der Solist den vierfachen mit dem Spielfaktor multiplizierten Differenzbetrag, die Gegenspieler je den einfachen.

Partie

Nach einer Runde, wenn alle einmal gegeben haben, ist eine Partie zu Ende.

Vier Spieler

Es gibt zwei Arten zu spielen:

  1. Wie zu fünft mit Solo und Rufspiel.
  2. Mit festen Parteien ohne Solomöglichkeit, die Partner sitzen einander gegenüber (kreuzweise, croisé).

Jeder Spieler erhält 19 Karten. Vermutlich gegeben: 5, 5, 5, 4. Der Geber gibt sich zuletzt 6 und drückt zwei Karten, die als Gedrücktes einen Extrapunkt zählen.

Der Wert der Karten ist 52 plus 19 Stiche plus Gedrücktes 1 gleich 72. Gleichstand herrscht bei 36 zu 36.

Der Spielwert verdoppelt sich, wenn eine Seite weniger als 18 Kartenpunkte hat. In der Spielform Solo/Rufer ausserdem bei einem Solo mit nur einer geforderten Karte und nochmal, wenn keine Karte gefordert wurde.

Drei Spieler

Jeder Spieler erhält 5 mal 5 gleich 25 Karten. Zuletzt hat der Geber 8 Karten übrig und drückt von seinen 28 drei Karten, die als Gedrücktes zusätzlich zu ihrem Eigenwert einen Punkt zählen.

Jeder spielt für sich, es gibt kein Solospiel.

Insgesamt gibt es 78 Kartenpunkte (52 + 25 Stiche + 1 für die Ablage). Spieler mit weniger als 26 Punkten zahlen die Differenz, verdoppelt, wenn sie weniger als 13 Punkte haben. Spieler mit mehr als 26 Punkten teilen sich die gezahlten Beträge im Verhältnis ihrer Differenzpunkte.

Beispiel. Amélie hat 37 Kartenpunkte, Béatrice 29, Cécile 12. Die Differenzen zu 26 sind: Amélie +11, Béatrice +3, Cécile −14. Da Cécile weniger als 13 hat, zahlt sie die Differenz doppelt: −28. Amélie erhält +22, Béatrice +6.

Verkürztes Blatt (le tarot simplifié)

Aus dem Blatt werden entfernt: die 2, 3, 4 und 5 in den Farben. Es bleiben 62 Karten. Es wird entweder zu viert oder zu dritt gespielt.

Spiel zu viert. Jeder erhält 3 mal 5 gleich 15 Karten. Der Geber hat 2 überzählige und legt zwei ab. Es gibt 68 Kartenpunkte (52 + 15 + 1), Gleichstand ist 34 zu 34, doppelter Spielwert bei weniger als 17.

Spiel zu dritt. Jeder erhält 4 mal 5 gleich 20 Karten. Der Geber hat 2 überzählige und legt zwei ab. Die abgelegten Karten zählen diesmal keinen Extrapunkt. Es gibt 72 Kartenpunkte (52 + 20). Verloren hat, wer weniger als 24 Kartenpunkte hat, doppelt mit weniger als 12.

Anmerkungen

Wertung. Die oben angegebene Regel interpretiert die Angabe im Regelwerk im Sinne des üblichen Verfahrens in praktisch allen Tarockspielen, in denen das Ergebnis bilanziert wird. Das Regelwerk behandelt nur das Spiel zu fünft:

«Le nombre total des points étant de 68, chacun des joueurs du camp qui n’a pas atteint 34 points paie aux adversaires, qui se les partagent, autant de jetons que ceux-ci ont fait de points en plus de 34.»

Michael Dummett hat eine andere Interpretation der Zahlungsmodalitäten (The Game of Tarot, 1980; gleiche Angabe in: Dummett/McLeod, History of Games Played with the Tarot Pack, 2004, Spiele 8.28 bis 8.34). Nach seiner Lesart zahlt ein Verlierer immer die einfache Differenz zum Durchschnittswert multipliziert mit dem Spielfaktor. Das hätte zur Folge, dass z.B. ein Solist viermal soviel gewinnt, wie er bei gleicher Differenz verliert. Des weiteren müssten sich vier Gegenspieler z.B. einen Punkt teilen, wenn der Solist mit zwei Karten geht und 33 Kartenpunkte macht. Dummett gibt das explizit als Beispiel an. Eine solche Regel wäre allerdings sehr ungewöhnlich und einzigartig unter den Tarockspielen und würde das Spiel aus der Balance bringen.

Die Spielwertung ist in historischen Regelwerken leider häufig nicht mit der wünschenswerten Genauigkeit beschrieben.

Spiel zu dritt. Im Regelwerk wird die Zahlungsweise für drei Spieler mit gekürztem Blatt dort angegeben, wo das Spiel mit dem vollen Blatt beschrieben wird. Dies wurde schon von Michael Dummett bemerkt und korrigiert.

Die Frage, an wen ein überzähliger Punkt geht, wird im Regelwerk nicht behandelt, da sie sich seinerzeit nicht gestellt haben dürfte. Selbst bei einem Einsatz von einem Centime pro Punkt hatte man die Möglichkeit den Punkt zu teilen, denn Halbe-Centime-Münzen hat es gegeben.

Macht ein Spieler einen Fehler der sich nicht korrigieren lässt, wird das Spiel annuliert. Für absichtlich begangene Fehler gibt es keine Regel.

Klärung. Im Regelwerk, Seite 7ff., heisst es zu etwaigen Unklarheiten: «[…] wir beschreiben nur die grossen Linien des Spiels und lassen die kleinen Details weg, die sich die Spieler in der Praxis aneignen.» Man verspricht: «Nötigenfalls werden wir etwaige Lücken in einer neuen Auflage füllen.» Jedenfalls steht die Einladung: «Liebhaber [amateurs] welche zusätzliche Auskunft oder Erklärungen benötigen, wenden sich an das Grand Café Coudurier in Chambéry. Wir würden uns sehr freuen, ihnen alle Hinweise zu geben, die ihnen nützlich sein könnten.» Leider hat es nie eine Neuauflage der Regeln gegeben, das Grand Café scheint nicht mehr zu existieren und die Tarockspieler von Chambéry spielen im 21. Jahrhundert vermutlich das moderne französische Tarock. Die unterschiedliche Interpretation der Zahlungsmodalität wird sich daher wohl nicht mehr klären lassen, so dass Spieler des 21. Jahrhunderts sich auf die Regeln einigen müssen, die ihnen richtig erscheinen.

Das Ass direkt unterhalb des Buben finden wir auch im Tarock von Nizza und anderen französischen Spielen wie Impériale oder Ecarté. Im Gegensatz zum Spiel von Nizza, und vielen anderen Tarocktraditionen, haben die Karten im Tarock von Chembéry jedoch in allen Farben die gleiche Rangfolge und rangieren nicht in umgekehrter Reihenfolge in den roten Farben.

Botanik

Die Blumen auf den Tarock sind stilisiert und lassen sich daher nicht immer genau identifizieren. Der aktuelle Erkenntnisstand sieht so aus:

1  Löwenzahn (Taraxacum officinale)
2  Flachs (Linum pubescens)
3  Klatschmohn (Papaver rhoeas)

4   Greiskraut (Othonna crassifolia)
5   Türkenbundlilie (Lilium tenuifolium)
6   Adonisröschen (Adonis aestivalis)

7   Ringelblume (Calendula officinalis)
8   Maiglöckchen (Convallaria majalis)
9   Goldlack (Erysimum cheiri)

10   Kornrade (Agrostema githago)
11   Petunie (Petunia hybrida)
12   Nelkenwurz (Geum coccineum)

13   Waldveilchen (Viola reichenbachiana)
14   Chrysantheme (Chrisanthemum grandifolium)
15   Vergissmeinnicht (Myosotis palustris)

16   Anemone (Anemone coronaria)
17   Tigerlilie (Lilium lancifolium)
18   Pantherlilie (Lilium pardalinum)

19   Geranie (Pelargonium hortorum)
20   Elfenspiegel (Nemesia strumosa)
21   Schlafmohn (Papaver somniferum)

Vollständig abgebildet sind die Trumpfkarten im World Web Playing Card Museum [WWPCM02108].

Faltbares Regelwerk

PDF, DIN-A4, mit 2x5 Feldern pro Seite, so dass es gefaltet in die Kartenschachtel passt.

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Der Autor dieser Seite ist Ulf Martin. Sie wird von John McLeod john@pagat.com und Ulf Martin betreut.
© John McLeod, 2024. Version aktualisiert am: 2nd August 2024

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